Als ich vom Essen spät in das „casa del pace“ zurückkomme, bevölkert eine Schar Jugendlicher den Vorgarten und das Stiegenhaus. Ich nehme das vorbereitete Frühstück mit auf’s Zimmer. Draußen am Gang macht es Ding, Ding, Ding,… aus ca. 20 Mobiltelefonen. Schlafen ist in den letzten Wochen aber kein Problem, geht eigentlich immer und überall…
Am Morgen will ich früh weg. Ich mach mir Kaffee zum Frühstück, mit dem Gaskocher logischerweise, und dann raus auf die Straße. Auf kleinen Nebenstraßen sind es 5 Km bis zum nächsten Ort. Der Höhenweg am Berg hat eine große Anziehungskraft, doch mein Vorwärtsdrang ist größer und letztendlich konnte ich schon viel von Franziskus‘ Energie auf den Wegen und an den Orten seines Wirkens aufnehmen. Und es ist mein Lebensweg, nicht der des Franz. Beim Kaffee, Saft, Mineral und Croissant in der Bar spricht mich der junge Wirt an. Wenn er in Rimini ist, trinkt er auch immer nur „americano“ den ganzen Tag. „what else!“ antworte ich. Er besteht auf einen Stempel mit Datum und Unterschrift in meinem Pilgerbuch. Kurz nach der Bar treffe ich auf den Franziskusweg und folge ihm bis nach Spello. Ein wunderschöner Ort, die Drohne steigt auf, es ist 10:00 Uhr und wegen des bereits zurück gelegten Weges Zeit für eine Pause mit Snack und „americano“. Als ich um 11 den Ort verlasse kommt mir Klaus entgegen. Er war am Morgen in Assisi und berichtet von einer ähnlichen Erfahrung, wie ich sie am Abend erlebte. Dieser Ort hat Kraft. Er macht jetzt Pause. Ich mit ihm. Gemeinsam gehen wir um 12:00 weiter. Es ist heiß, eigentlich die Zeit zu der ich mich gerne in den Schatten verziehe. Als wir 10 Km weiter Foligno verlassen, achten weder Klaus noch ich auf den Weg und landen auf der Straße und nicht am Franziskusweg. Die ist zu der Zeit schon richtig heiß und wird heißer. Bei einem Einkaufszentrum gelingt uns die Flucht von der Straße. Mein System meldet nach dem heißen Sprint den Bruch der eingerissenen Schraube und warnt vor einem Systemcrash. Der Pfad ist in der Nähe, der Ort Trevi in Sichtweite aber halt oben am Berg. Klaus will in die nächste Unterkunft, ich keinen Meter mehr auf Asphalt und die Steigungen machen mir eigentlich nix mehr aus, wir beschließen wieder getrennte Wege zu Gehen. Die Hitze bereitet uns unterschiedliche Schwierigkeiten, denen wir mit unterschiedlichen Strategien begegnen. Und ich habe mich Schritt für Schritt akklimatisiert. Der Aufstieg nach Trevi gelingt leicht und ist halbwegs im Schatten. Ich finde Unterkunft in der „Residence Sant‘ Emiliano“, klingt nobel, ist aber ein Pilgerappartement, das ich zu einem günstigen Preis für mich alleine habe an diesem Abend. Inkl. Waschmaschine. Ich gehe Essen, telefoniere lange mit zu Hause und versuche danach Ordnung in meine Video- und Fotodateien zu bringen, was mir nach dem Bier zum Essen nicht ganz so gut gelingt. Immerhin sind die Dinger auf der 20GB SD-Karte gesichert.
Über Settecamino geht es am nächsten Tag weiter nach Spoleto, eine Sprintetappe auf Radwegen, wie der Pilgerführer schreibt, und die läuft sehr gut. Um die Mittagszeit laufe ich in Spoleto ein, gehe in ein Restaurant, bemerke die roten Lampions an der Fassade nicht. Ni Hao, also heute Mittag mal chinesisch. Es ist heiß, ein netter Park nebenan lädt zur Mittagspause.
Nach Kaffee am Bahnhof mache ich mich auf den Weg durch die sehr beeindruckende Stadt, ein 5 Km Anstieg in den Naturpark und danach 20 Km ohne Wasser und Zivilisation steht an. Beim Anblick des Aquäduktes „Ponte delle Torri“ denke ich noch, welche Ehre hier darüber schreiten zu dürfen. Tatsächlich überkommt mich da bereits ein komisches Gefühl. Nach dem Übergang geht es in einem Steinwald nach oben. Ich sehe meinen 1ten Wolf. Ohren und Schwanz sind noch behaart, der Rest ein Gerippe. Der Geruch verfolgt mich zu lange. Das Eremo an dem ich Pause mache irgendwie dunkel, schwer zu beschreiben, anders als bisher irgendwie. Die wenigen Häuser die im Wald stehen ebenso. Überall sind die Fensterladen geschlossen um gegen die Sonne zu schützen, die Zäune mit Stacheldraht gesichert, die Schilder weisen wie überall auf die Videoüberwachung hin. Aber es ist anders. Spuky sag ich mal, die Fensterläden finsterer, die Zäune höher, die Kameras tats. sichtbar. Aber der Aufstieg in Serpentinen durch den Steinwald ist nicht allzu steil und überraschend schnell steht das Berghotel „Ferretti“ vor mir. Das ist nett, der Wirt hat vor dem Hotel und darin eine Sammlung Oldtimermotorräder aller bekannten und unbekannten italienischer Marken stehen, wie ich sie noch nie gesehen habe. Ich kehre ein, Wasser und Saft, will ja noch weiter, erst 25 Km am Tacho und eine wildromantische Nacht im Naturpark wartet. Ich sitze eine Weile und entscheide mich um. Die gebrochene Schraube verträgt die Hygiene im Zelt dann vielleicht doch nicht so gut. Abendessen im gut besuchten Ferretti ist auch besser als Jause im Zelt.
Das Frühstück ist am nächsten Morgen im Gastzimmer vorbereitet inkl. Kaffee aus der Thermoskanne, rel. früh starte ich in den Naturpark. Noch kurz einen Blick in die Einsiedelei Monteluco, die wirkt wieder kräftig, und weiter geht’s. Nach 1,5 Km mal ein Blick auf das Telefon, sehen wie der Track weitergeht und Ohhh? (Um jetzt nicht das Wort zu verwenden, mit dem Ostösterreicher ihre Sätze beginnen.), der ist weg. Also nicht einer, alle Google Maps Karten gelöscht. Ich melde mich ab und wieder an, gelöscht, nix mehr da. Auf der Website wird die Karte schon länger nicht angezeigt, warum auch immer, aber das??? Spuky! Nun gut, hab ja 2 Pilgerführer mit, werde mich schon zurecht finden. Der Übergang und Abstieg in das Nera-Tal ist schön und läuft gut. Nach einem langen Vormittag kehre ich nach Mittag in das 1te im Pilgerführer angegebene Restaurant ein. Und das ist vom Preis und Qualität so, als hättet es ein Schild „Letzte Tankstelle vor der Autobahn“ vor der Tür stehen. Zudem jetzt das 3te mal, dass die Eigenschaften „Pilger“, „Ausländer“ und „Mann“ ausreichen, um aus einem „filette di manzo“ ein Schweinskottelet zu machen. Ich beschwere mich, ändert aber nix, weil sie haben eben nur „maiale“, grinsen und ziehen vom Preis € 1,5 ab. Ein Pilger ist einer der geht… Das im Guide angegeben Etappenziel Macenano, eben die zuvor erwähnte Tankstelle wurde schon am Morgen auf Arrone erweitert. Was zeigt mir die Karte, eine Passstraße die den Weg um ca. 6 – 8 Km abkürzt. Mein Radfahrerherz schlägt wild und ich laufe abends in Piediluco, ein super netter Ort mit prima Stimmung an einem Stausee gelegen, ein und nehme Quartier im Hotel. Hotel „Miralago“ ist so super wie es klingt.
Abgesehen von ca. 400 Hm Anstieg, die für mich am Ende meines Weges selbst bei Hitze so aufregend sind, wie Mentos in eine Cola Flasche werfen, kann der Weg nix besonderes. Ok, die Mittagspause im Restaurant in Le Casette ist von besonderer Qualität. Sehr gutes Restaurant mit freundlichen Wirtsleuten. Aber dann wieder Straße und bergab meldet sich die gebrochene Schraube wieder, das sieht jetzt nicht mehr gut aus. Poggio Bustone ist nicht mehr weit und da ich nach dem Frühstück im Hotel um 8 noch in die Apotheke und letztendlich erst um 10 gestartet bin ist eh schon Nachmittag. Und Poggio Bustone ist überraschend nett, das Ostello ok und sein Wirt, Feliciano, erst recht. Er interessiert sich ernsthaft für die Menschen, die in seinem Ostello landen. Um 10 Abends sind endlich die anderen Gäste weg, jetzt kann er sich voll und ganz um mich kümmern und wir plaudern noch bis nach Mitternacht über das Leben und seine und meine Pläne. Auf Italienisch, Feliciano ergänzt die mir fehlenden Vokabel, korrigiert die Grammatik und so funktioniert das ganz gut.
Die 500 m von Felicianos Ostello zu seinem Restaurant am nächsten Morgen, wo das Frühstück vorbereitet ist, fallen nicht nur schwer, sondern gehen eigentlich gar nicht. Ich habe keine Ahnung wie es weitergehen soll. Unglaublicherweise werden die Schuhe warm, das Blasenpflaster entfaltet seine Wirkung und ich wandere 30 Minuten später eigentlich schmerzfrei bis zur Mittagspause nach La Foresta, eine wunderschöne, ruhige Einsiedelei kurz vor Rieti. Dort schlafe ich 1,5 Stunden, entspannt und voll neuer Energie kann es weiter gehen. Voll neuer Energie? Eben nicht, nach der Mittagspause stecke ich das Telefon am Akkupack an und es tut sich nix. Der vertraute Ton bleibt aus. Ich blase heftig in alle Anschlüsse, drücke den Ladeknopf mehrmals, blase wieder, nix. Kein Strom. Sch ade, das Solarmodul hätte das Telefon in 1,5 Stunden Pause ja fast voll gemacht, wäre es in der Sonne gelegen. Also mit Solarstrom auf nach Rieti und dort Telefon laden. Möchte ja den Track weiterlaufen lassen, Fotos machen, das Telefon zur Orientierung nutzen. Ich lade das Telefon kurz vor Rieti in einem am Sonntag geöffneten Supermarkt während des Einkaufs, im Eissalon in der Stadt und an der Tankstelle nach der Stadt. Als Tagesziel wähle ich San Giovanni (St. Johann ist immer gut). Rieti ist zwar mehr als schön und hat Ausstrahlung, aber ist um 4 Uhr zu heiß und ich will weiter. Leider hat das Albergo in San Giovanni keine Zimmer frei, ich Zelte auf der Partywiese hinter dem Restaurant, esse dort, kann mich waschen und lade die Geräte.
Am nächsten Morgen wieder das gleiche Drama, gar nix geht. Ich wechsle das Pflaster, danach wird es Schritt für Schritt besser. Die Sprühmechanik des neu gekauften Sonnensprays ist kaputt. Ohne Sonnencreme gibt es bei diesem Wetter kein weitergehen. Ich entschließe mich zur Pause im Ort Ornaro Basso, hatte noch kein Frühstück und will mich nach einer Apotheke erkundigen oder zumindest Sonnencreme kaufen. Ob es in Poggio San Lorenzo eine Apotheke gibt. Nein, aber gleich hier neben der Bar, der Schotterweg führt runter zur Straße, dort sei eine Apotheke. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, also runter zur Apotheke, Sonnencreme, diesmal kein Spray, Blasenpflaster, 3 Km wieder zurück auf den Pilgerweg? Sicher nicht! Zeit, das Pferd in den Stall zu bringen. Ich bleibe auf der Straße. Um wieder auf den Weg zu kommen gehe ich rauf nach San Lorenzo, einige Autos bleiben stehen und fragen ob ich in das Agricultura will und beschreiben den Weg. Will ich nicht, um 12? Ich geh nach einer Pause weiter, will pflichtbewusst am Weg bleiben. Der Pilgerführer bestimmt das Schicksal, er schreibt zum Verlassen des Ortes „wir folgen nicht den Pfeilen und bleiben für 1,5 Km auf der Straße“. Ich schau mir das an, Deckel zu, das Pferd will in den Stall, ich lasse Toffia, Farfa und Canneto aus und ziehe nach Borgo Quinzio. Auf einer „Alternativen Route“. Leider verschenke ich dort zu viel Zeit bei der Suche nach einer Unterkunft, die es dort nicht gibt, sonst hätte ich gleich weiterziehen können, aber wer will das um 6 Uhr abends nach einer Nacht im Zelt und leeren Akkus in allen Systemen. Für die Nacht finde ich dann noch einen schönen Platz für das Zelt mit Brunnen nebenan, das Telefon wird beim Frühstück in der Bar am nächsten Morgen geladen, es ist nicht so heiß und so geht es am Dienstag locker und schmerzfrei nach Montelibretti zur Mittagspause. Ebenso schön geht es danach weiter nach Monterotondo. Den Regen ignoriere ich, wird wohl wie in den letzten Tagen nach ein paar Tropfen aufhören. Die Wolken sind schwarz, aber der Donner weit weg. Plötzlich setzt ein Gewitter mit Starkregen ein, wie ich ihn in den letzten 2 Monaten nicht erlebt habe, das Wasser kommt von allen Seiten, zum Unterstellen nix, eine Hecke schützt zumindest vor dem Regen auf einer Seite. War das jetzt die letzte Prüfung? Kurz danach gleich wieder heiß und schwül weiter nach Monterotondo.
Ein letztes schönes Abendessen am Pilgerweg. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück galoppiere ich Richtung Rom, super und schön, keine Schmerzen. Auf halbem Wege treffe ich 2 Pilgerinnen aus Holland, gemeinsam wandern wir bis zur Stadtgrenze. Nach einer Mittagspause mit Kaffee und Eis und Austausch unserer Mailadressen starte ich sehr schwungvoll die letzten 15 Km in die Stadt. Noch einmal ein kurzer Regen, ich lade das Telefon in einer Bar, ziehe Richtung Petersdom. Und kann dort endlich Antonia und Felicia in die Arme nehmen. Mann, was hab ich sie vermisst.
Gemeinsam gehen wir in meine Unterkunft, das Monasterio St. Cecilia in Trastevere, ein Geheimtipp, den ich sicher nur an echte Freaks weiter geben werde. Am Abend haben wir uns viel zu erzählen. Am Donnerstag, nachdem ich mir meine Urkunde aus St. Peter geholt habe, treffen wir uns an der Spanischen Treppe. Wir essen, trinken Kaffee, shoppen ein bisschen und quatschen.
„La vita e bella!“
Ultreia! Walk on!
Raphael